Ermittlungsbericht Mordfall Zollwitz
Neben dem folgenden Ermittlungsbericht des Kommissars Kornfeld gibt es auch einen Zeitungsartikel der Duisburger Nachrichten, der die Ereignisse in Hamborn beschreibt.
Am Abend des 28.05.1924 wurde ich zu einem Mordfall in die Hamborner Straße 17
in der Bergarbeitersiedlung "Alter Kurfürst" in Hamborn gerufen.
Einen Tag später am 29.05.1924 gab es in der Zechensiedlung einen weiteren
Todesfall, der offensichtlich in unmittelbarem Zusammenhang zu ersten Mordfall steht.
Tatort A: Hambornstraße 17
- Bergarbeitersiedlung "Alter Kurfürst", Hamborn, Hambornstraße 17; Wohnhaus
der Familie Zollwitz, Straße vor dem Haus: Eine tote Person, männlich (1)
- 1. Obergschoss, Schlafzimmer: Eine weitere tote Person, weiblich (2) im Ehebett
liegend, Fenster zur Straße zerstört, vermutliche Tatwaffe auf dem Boden vor
dem Fenster: Bergbauhammer; fremdartige Schriftzeichen aus Blut an den Wänden.
Von den Schriftzeichen an den Wänden wurde eine Abschrift gefertigt. Der
Bergbauhammer wurde zur Überprüfung auf Fingerabdrücke sicher
gestellt.
- 1. Obergeschoss, Kinderzimmer: Zwei weitere tote Personen, männlich (3) und
weiblich (4) im Etagenbett liegend
Von den Schriftzeichen an den Wänden wurde eine Abschrift gefertigt.
- Erdgeschoss, Wohnzimmer: süßlicher Brandgeruch geht vom Kamin aus, Kamin
wurde mit Küchentüchern verstopft, möglicherweise Versuch der
Brandstiftung
Kohlereste und Asche aus dem Kamin im Wohnzimmer sowie einge der Tücher wurden zur
Untersuchung durch Frau Lichtenstein sicher gestellt
- Erdgeschoss, Küche: Schublade im Küchenschrank enthielt Ausweispapiere,
Haushaltsbuch, Stammbuch und weitere Unterlagen der Familie sowie ein Schlüsselbund;
Haushaltsbuch und Ausweispapiere der Familie Zollwitz zeigen keine erwähnenswerten
Besonderheiten.
- Dachgeschoss, Schlaf- und Abstellraum: Kleidung und persönliche Dinge des
Friedhelm Zollwitz (1, Fundort Ausweis)
- Keller, Kohlen aus dem Keller wurden zur näheren Untersuchung durch Frau
Lichtenstein sicher gestellt.
- Nahe gelegenes Waldstück: am Morgen des 29.05.1924 wurde bei einer Untersuchung
der Umgebung des Tatortes Herrn Dietmar Zollwitz in einem nahe gelegenen Waldstück
vorgefunden.
Dietmar Zollwitz saß an einer kleinen Feuerstelle in einer Mulde und umklammerte
einen Kohlesack.
Tatort B: Stollenstraße 7
- Bergarbeitersiedlung "Alter Kurfürst", Hamborn, Stollenstraße 7; Wohnhaus
der Frau Wilken und des Herrn Gerhard Mootz
- Bei Ankunft gegen 21.00 Uhr drang Rauch aus dem Dachgeschoss des Hauses.
- Zimmertür im Dachgeschoss war von innen verschlossen und musst durch Herrn
Bonken aufgebrochen werden, nachdem kein Lebenszeichen im Raum erkennbar war.
- Zimmer im Dachgeschoss war bei Ankunft stark verraucht. Die Leiche einer
männlichen Person hing von einem Haken an der Decke (5). Kamin und Fenster wurden
Tüchern und Lumpen abgedichtet, so dass die Rauch aus dem Kamin sich im Zimmer
ausbreiten musste.
- An den Wänden befinden sich Schriftzeichen, die denen am Tatort A ähneln.
Auf dem Tisch lag bei Ankunft eine Botschaft, die an niemanden bestimmtes gerichtet ist.
Es ist die Rede von einem Dämon und Stimmen, ähnlich wie sie Friedhelm Zollwitz
erwähnte.
Tatort C: Zechengelände
Einige Hinweise führten zur Zeche in Hamborn, wo sowohl die Brüder Zollwitz
als auch der verstorbene Gerhard Mootz gemeinsam in einer Kolonne gearbeitet haben.
- Schichtwechsel an der Zeche ist gegen 13.00 Uhr
- am 31.05.1924 (Freitag) kommt es zu einer Auseinadersetzung zwischen der Belegschaft
und der Zechenleitung wegen der schlechten Arbeitsbedingungen. In der Folge kommt es am
späten Nachmittag zur Aussperrung der Bergleute.
- bei Untersuchungen auf dem Zechengelände am 01.06.1924 (Samstag) wurden 6
weitere Mordfälle entdeckt:
- auf der Abraumhalde an einem Kreis aus 7 Feuerstellen liegen 4 blutleere Körper;
am Haken eines Kranwagens hängt die Leiche des Zechenleiters Thomas Ludwig
- im Führerhaus des LKW befindet sich ein Buch "Liber Sanguinis" sowie
Flugblätter der Kommunisten
Opfer
- Friedhelm Zollwitz, geboren 1896 in Hamborn, Bergmann, Bruder des
Hausherren Dietmar Zollwitz, Todesfolge durch Genickbruch bei Sturz aus dem Fenster im 1.
Obergschoss, schwere Kopfverletzungen durch Gewalteinwirkung, bekleidet mit
Unterwäsche, bei Ankunft mit Wolldecke abgedeckt; Todeszeitpunkt war
gemäß gerichtsmedizinischer Untersuchung der 28.05.1924 zwischen 20.00 und
22.00 Uhr
- Willmar Zollwitz, Ehefrau des Hausherrn Dietmar Zollwitz, Todesfolge
durch massive Gewalteinwirkung im Bereich des Schädels; Todeszeitpunkt war
gemäß gerichtsmedizinischer Untersuchung der 28.05.1924 zwischen 20.00 und
22.00 Uhr
- Anton Zollwitz, achtjähriger Sohn des Hausherrn Dietmar
Zollwitz, Todesfolge durch massive Gewalteinwirkung im Bereich des Schädels;
Todeszeitpunkt war gemäß gerichtsmedizinischer Untersuchung der 28.05.1924
zwischen 20.00 und 22.00 Uhr
- Florentine Zollwitz, fünfjährige Tochter des Hausherrn
Dietmar Zollwitz, Todesfolge durch massive Gewalteinwirkung im Bereich des Schädels;
Todeszeitpunkt war gemäß gerichtsmedizinischer Untersuchung der 28.05.1924
zwischen 20.00 und 22.00 Uhr
- Gerhard Mootz, Bergmann, wohnhaft Stollenstraße 7, Todesfolge
durch Erhängen (vermutlich Selbsttötung, Abschiedsbrief liegt vor), Alter:
etwas Mitte 20, arbeitete mit Friedhelm und Dietmar Zollwitz und mit Daniel Kreft in
einer Kolonne des Bergwerkes. Todeszeitpunkt liegt gemäß Zeugenaussagen am
29.05.1924 zwischen 19.00 und 22.00 Uhr
- Thomas Ludwig, Leiter der Zeche in Hamborn, wohnhaft Felsheimer
Straße 47 in Duisburg, sagte, dass die Bergleute regelmäßig und für
besondere Leistungen günstig oder kostenlos Kohle von der Zeche für den
Eigenbedarf erhalten. Die Zollwitzbrüder arbeiteten im Stollen 2 der Zeche.
Bergwerksmeister für diesen Bereich ist Herr Stolte.
Herr Ludwig bestätigte, dass Dietmar und Friedhelm Zollwitz, Gerhard Mootz und
Daniel Kreft eine Kolonne bildeten; diese Kolonne wurde in schwierigen Bereichen der
Stollen eingesetzt, wo Einsturzgefahr, Wassereinbruch oder ungünstige
Gesteinstrukturen anzutreffen sind. Die genannte Kolonne befindet sich geschlossen im
Urlaub vom 27.05.1924 bis zum 03.06.1924.
Da Herr Ludwig uns an eine Stelle in der Zeche führen ließ, die offensichtlich
seit längerer Zeit nicht mehr bearbeitet wird und damit nicht der letzte Arbeitsort
der Zollwitz-Kolonne war, ist davon auszugehen, dass Herrn Ludwig
Unregelmäßigkeiten bekannt sind.
stirbt in der Nacht vom 31.05. auf den 01.06.1924 durch erhängen an einem Kranwagen
auf dem Zechengelände
- Anton Golling, Halter des Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen
DU-HE 186, Besucher der Zeche befand sich am 29.05.1924 bei Herrn Ludwig; vorbestraft
wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung und Volksverhetzung, wohnhaft
Goldstraße 2, Duisburg.
stirbt in der Nacht vom 31.05. auf den 01.06.1924 aus bisher ungeklärter Ursache auf
dem Zechengelände; sein Kopf weist Einstiche unbekannter Herkunft auf, sein
Körper ist blutleer!
- 3 weitere Opfer, unbekannter Herkunft sterben auf gleiche Art und
Weise wie Anton Golling
- Tobias Krüger, Bergmann, der uns am 01.06.1924 gegen 6.00 Uhr
auf das Zechengelände und in die Stollen führt; unter Tage stirbt er aus bisher
ungeklärter Ursache in unserer unmttelbaren Nähe; sein Körper ist
blutleer!
Zeugen
- Wolfgang Weber, Polizeiobermeister meldete Mordfall
- Horst Bonken, Wachtmeister Polizeistation Hamborn
- Dietmar Zollwitz, Bergmann (Vorarbeiter), wohnhaft
Hambornstraße 17, Familienvater und Hausherr, am 28.05.1924 zunächst
flüchtig; tatverdächtig; wurde am Vormittag des 29.05.1924 im
angrenzenden Waldstück vorgefunden; befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer Art
Trance und war nicht ansprechbar; ließ sich ohne Widerstand abführen und wurde
wegen dringenden Tatverdachts des Mordes an seiner Familie im Kommissariat Duisburg in
Gewahrsam genommen.
Während der gesamten Zeit zeigte Dietmar Zollwitz keine Reaktionen auf die Umgebung.
Auch bei der Nennung von Namen aus seiner Familie war keine Reaktion zu beobachten.
In einer ersten Vernehmung durch Frau Lichtenstein berichtete Diermar Zollwitz von einem
"Dämon der 1000 Zungen". Die Stimmen im seinem Kopf befahlen ihm, für Ruhe zu
sorgen und die Familie kaputt zu machen.
Dietmar Zollwitz wirkte in einer weiteren Vernehmung am 30.05.1924 verzweifelt und
verstört; er gesteht den Mord an seiner Familie und zeigt Reue. Seine Antworten aus
der Befragung lassen den folgenden Schluss zu: Dietmar Zollwitz entwendete Kohlen von
seinem Arbeitsplatz und verfeuerte einen Teil davon. Der entstehende Qualm bewirkte eine
Art Sucht (Rauschgift?). Herr Zollwitz verbrannte die Kohlen an verschiedenen Orten, um
die entstehenden Verbrennungsdämpfe zu inhalieren. Möglicherweise als Folge der
Inhalation hörte Herr Zollwitz Stimmen, die ihm angeblich befahlen, alle zu
töten, die "IHM" nicht dienten. Mit fortlaufender Inhalation des Qualmes wurden die
Stimmen lauter und eindringlicher. Schließlich gehorchte Herr Zollwitz den Stimmen
in seinem Kopf und erschlug seine Familie.
- Kurt Müller, Bergmann, wohnhaft Hambornstraße 15, deckte
die Leiche des Opfers (1) mit einer Wolldecke ab, berichtet, dass Dietmar Zollwitz
unmittelbar nach der Tat das Haus fluchtartig verließ und in östlicher
Richtung flüchtete, berichtet von gelegentlichen Ausflügen des Flüchten
mit seinen Kindern in den Wald östlich der Siedlung
- Jan Schulze, Bergmann, wohnhaft Hambornstraße 8, war als
erster am Unglückort
- Hildegard Harke, wohnhaft Hambornstraße 14 (unmittelbar
gegenüber des Hauses von Familie Zollwitz), seit dem Tod ihres Mannes Erwin allein
stehend, Befragung am 29.05.1924: hörte Frauenschreie und anschließend ein
Poltergeräusch zur Tatzeit; als sie zum Fenster eilte, sah sie eine leblose Person
auf der Straße vor dem Haus der Familie Zollwitz; später erfuhr sie von
anderen Anwohnern, dass kurz darauf Dietmar Zollwitz fluchtartig sein Haus
verließ.
Familie Zollwitz erschien der Hildegard Harke immer freundlich und hilfsbereit. Dietmar
Zollwitz hat eine höhere Stellung als Vorarbeiter in der nahe gelegenen Zeche.
Häufig wurde Dietmar Zollwitz spielend mit seinen Kindern gesehen.
Die Brüder Friedhelm und Dietmar Zollwitz arbeiten in einer Kolonne und damit in den
gleichen Schichtzeiten.
- Daniel Kreft, Bergmann, wohnhaft Grabenstraße, meldete der
örtlichen Polizeidienststelle den Unfall von der Zechenverwaltung aus; in der
Kolonne der Zollwitz-Brüder tätig; nach Auskunft der Zechenverwaltung befindet
sich das Elternhaus des Herrn Kreft in Hamburg, Eilersstraße; der wichtige Zeuge
Daniel Kreft ist zur Zeit nicht auffindbar, auch eine Durchsuchung seines Zimmers brachte
keine Erkenntnisse zum aktuellen Aufenthaltsort des Herrn Kreft.
Am Abend des 31.05.1924 kehrte Daniel Kreft aus von seinen Eltern aus Hamburg
zurück. Im Wohnheim verstopfte er den Kamin und entfachte ein Feuer mit Kohlen aus
einem Sack mit der bekannten Aufschrift "Gottes Hilfe" (Kohlesack mit Inhalt
sichergestellt!). Als ihn andere Bewohner davon abhalten wollen den Kamin zu verstopfen
und den Rauch zu inhalieren, klammert er sich um das heiße Ofenrohr; mit schweren
Verbrennungen an den Armen und im Gesicht wird Herr Kreft ins Elisabeth-Krankenhaus
Hamborn eingeliefert.
- Frau Schröter, Sekretärin in der Zechenverwaltung
- Herr Stolte, Bergwerksmeister für den Bereich des Stollen 2 in
der Zeche;
Im Büro des Herrn Stolte wurden Pläne und Aufzeichnungen gefunden.
Aufzeichnungen über kritische Situationen sind jedoch lückenhaft: Zwischen dem
24.05. und dem 30.05. wurden offensichtlich einige Seiten aus dem Ordner
herausgerissen.
- Gottfried Zwirner, Journalist der Duisburger Zeitung, recherchiert
im genannten Fall
- Frau Wilken, Witwe und Vermieterin der Wohnung des Gerhard Mootz
(Opfer 5).
Gerhard Mootz lebte alleine im Dachgeschosszimmer des Hauses von Frau Wilken.
Gelegentlich traf er sich abends mit seinen Kollegen aus der Zeche. Über besondere
Freunde, Beziehungen, Feinde oder Probleme des Gerhard Mootz ist Frau Wilken nichts
bekannt
Gerhard Mootz hatte seit zwei Tagen Urlaub und kam am 29.05.1924 kurz vor seinem Tod
gegen 19.00 Uhr nach Hause
- Michael Osterfeld, Brandmeister der Zechenfeuerwehr Hamborn
- Korbinian Schönental, Bergarbeiter im Ruhestand, verrichtet
noch kleinere Arbeiten und Botengänge in der Zeche Hamborn, führte uns auf
Anweisung des Herrn Ludwig in einen Stollen, der offensichtlich nicht der letzte
Arbeitsort der Brüder Zollwitz war.
- Tim Petzer, Bergmann, wohnhaft Grabenstraße, gab
Auskünfte zum Verhalten von Daniel Kreft nach dessen Rückkehr aus Hamburg
- Jörg Grote, Wirt der Kohlmeise